Der spanische Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo, TS) hat in der Entscheidung nº167/2020 vom 11.3.2020 geurteilt, dass der Hersteller eines mit einem sogenannten defeat device ausgestatteten Fahrzeugs (im vorliegenden Fall die Seat S.A.) dem Endkunden gegenüber auch dann auf vertraglichen Schadensersatz haftet, wenn der Kaufvertrag über das betreffende mangelhafte Fahrzeug lediglich mit dem Endkunden und einem Vertragshändler abgeschlossen wird, mit dem der Hersteller in keinerlei gesellschaftsrechtlichen Beziehung steht. In dem entschiedenen Fall führte dies kurioserweise nicht nur zu einem Anspruch auf Rückgängigmachung des Kaufvertrags und materiellem Schadensersatz, sondern auch zur Zuerkennung eines Schmerzensgeld wegen der mit Aufkommen des Dieselskandals bei der betreffenden Endkundin – so das TS wörtlich – ausgelösten „Ärgernisse, Ungewissheiten und Ängste“.
Im Gegensatz zu den in Deutschland, Österreich und zuletzt auch vor dem EuGH im Zusammenhang mit dem Dieselskandal diskutierten Rechtsfragen weist der Fall mehrere Besonderheiten auf. Denn zum einen wird nicht etwa eine deliktische Haftung – etwa wegen sittenwidriger Schädigung – thematisiert, die der spanische Hersteller entweder selbst begangen hat oder die er sich (über welche juristischen Zurechnungskriterien auch immer) in irgendeiner Weise zurechnen lassen muss. Vielmehr etabliert das TS unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung zur Drittschadensliquidation eine ausdrückliche Ausnahme vom Prinzip der Relativität der Vertragsverhältnisse, und weitet die Vertragshaftung auf den nicht am Vertragsschluss beteiligten Hersteller aus. Die Begründung dafür erscheint etwas diffus und ermöglicht mangels klarer rechtliche Kriterien nur schwerlich eine rechtssichere Handhabung für vergleichbare Fälle, da nur auf allgemeine sozio-ökonomische Faktoren zurückgegriffen wird („Dogma der Relativität der Vertragsverhältnisse aus der Zeit des Inkrafttretens des spanischen Zivilgesetzbuches / ökonomischer und sozialer Wandel von einer Feudalgesellschaft zur Industriegesellschaft mit komplexen Fertigungsprozessen und rechtlichen Vertriebsstrukturen“).
Zum anderen enthält die Entscheidung neben dieser dünnen vertragsrechtlichen Argumentation aber auch mehr als fragwürdige versteckte Aussagen zum umgekehrten Haftungsdurchgriff im Konzern. Denn obwohl die manipulierten Motoren sowie die Software nicht durch die im vorliegenden Fall verklagte spanisches Tochtergesellschaft des VW-Konzerns hergestellt wurden, und diese ausdrücklich bestritt, davon Kenntnis gehabt oder daran mitgewirkt zu haben, genügt sich das Gericht mit der lapidaren Feststellung, die konzerninternen Verhältnisse seien dem Endkunden nicht bekannt, daher müsse jede Konzerngesellschaft für die Handlungen der anderen Konzerngesellschaften einstehen und zudem sei der eigentliche Urheber der Täuschung, nämlich die Muttergesellschaft Volkswagen AG, aufgrund ihrer Ansässigkeit im Ausland für den spanischen Endkunden nur schwer zu verklagen.
Das TS scheint somit – ohne dies klar so zu benennen oder sich dessen auch nur bewusst zu sein – eine konzernweite Globalhaftung sämtlicher Konzerngesellschaften für fehlerhafte Produkte über die Hintertür des Vertragsrechts zu konstruieren. Zwar kann es in Extremfällen im Einzelfall durchaus sachgerecht sein, bei Verletzung bestimmter konkreter Handlungs- oder Unterlassungspflichten eine Durchbrechung des ansonsten strikt zu wahrenden Trennungsgrundsatzes vorzunehmen. Eine an die bloße Zugehörigkeit zu einem Konzern geknüpfte allgemeine Strukturhaftung ist zumindest im grenzüberschreitenden Konzern aber nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar, zumal wenn wie hier die nicht nachweisbar an den Manipulationen beteiligte Tochtergesellschaft für Organisationsverschulden und Arglist der Muttergesellschaft haftbar gemacht wird. Unseres Erachtens zutreffend hat so etwa das OLG FFM in einem ähnliche gelagerten Fall (AZ 13 O 136/18 vom 4.9.2019) im Zusammenhang mit dem Dieselskandal eine Haftung der Tochtergesellschaft (einer deutschen Skoda-Importeurin und Vertragshändlerin) für arglistiges Verschweigen der Muttergesellschaft Volkswagen AG mit der zutreffenden Begründung verneint, die bloße Konzernverbundenheit genüge nicht für eine solche Zurechnung.