Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 5.5.2020 (AZ: 2 BvR 859/15 ua) zum Public Sector Purchase Programme (PSPP) nicht nur die vordergründig in dem Verfahren zu beantwortende Rechtsfrage entschieden, ob die EZB mit diesem Programm zum Kauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt sowie der EuGH in seiner die Vorgehensweise der EZB als mit dem Unionsrechts vereinbar einstufenden Entscheidung in der Rechtssache Weiss (EuGH, Urteil v. 11.12.2018, Rs. C-493/17) gegen die in der deutschem Verfassung vorgegebenen Grenzen der Kompetenzübertragung an Organe der Europäische Union verstoßen hat. Das BVerfG bejaht diesen Verstoß in harschen Worten, indem es das Urteil des EuGH in dem vorangegangenem Vorlageverfahren als „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar (Rn. 116) und „objektiv willkürlich“ (Rn. 112)“ einstuft.
Den nur formaljuristisch Beklagten, nämlich dem deutschen Bundestag und der Bundesregierung, wird aufgegeben, darauf hinzuwirken, dass die EZB (welche insbesondere auf Drängen der damaligen Bundesregierung als von politischen Organen der EU oder der Mitgliedstaaten als unabhängig ausgestaltetes Unionsorgan geschaffen wurde, sh. Art. 130 AEUV) innerhalb einer knapp bemessenen Frist von 3 Monaten nachweist, dass es bei den im Rahmen des Programms vorgenommenen währungspolitischen Maßnahmen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen hat, welche mit den vom BVerfG aufgestellten Kriterien im Einklang steht.
Die dem Urteil zu Grunde liegenden Währungs- und geldpolitischen Rechtsfragen berühren zwar nicht den Tätigkeitsbereich LEXPORTATEUs und werden vorliegend nicht thematisiert. Erwähnenswert erscheint uns jedoch, dass in Wahrheit nicht der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung auf der „Anklagebank“ in Karlsruhe saßen, sondern unausgesprochen vielmehr die EZB und vor allem der EuGH. Entgegen der ansonsten in einem Rechtsstaat üblichen Vorgehensweise konnte letzterer sich nach Abschluss des vom BVerfG selbst angestrengten Vorlageverfahrens vor dem EuGH in der Rs. Weiss in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde jedoch weder zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf äußern, noch wurde ihm das ansonsten bei Verurteilungen solcher Tragweite übliche „letzte Wort“ gewährt. Dies wirft kein gutes Licht auf ein Verfassungsgericht, welches sein vernichtendes Urteil mit der Wahrung unveräußerlicher rechtsstaatlicher Prinzipien begründet.
Das „letzte Wort“ wird dem EuGH indes nicht nur im verfahrensrechtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne zudem dadurch genommen, dass sich das BVerfG dadurch explizit über die Bindungswirkung von in Vorlageverfahren ergangenen Urteilen des EuGH an das vorlegende Gericht gemäß Art. 267 AEUV hinwegsetzt, was den EuGH im Nachgang zur Entscheidung des BVerfG auch zu einem in dieser Form ungewöhnlichen Hinweis auf jene Bindungswirkung veranlasst hat. Zudem stellt das BVerfG dadurch auch grundlegende Pfeiler der EU wie den Vorrang der Unionsrechts und das Auslegungsmonopol des EuGH in Bezug auf die Interpretation des Unionsrechts in Frage.
Obwohl aus dem Urteil für das Internationales Gesellschaftsrecht und Konzernrecht keine direkten Auswirkungen drohen, könnten seine mittelbaren Auswirkungen verheerend ausfallen und sind derzeit noch nicht absehbar. Denn es hat sowohl die deutschen als auch die europäischen Organe in einen unauflösbaren Kompetenzkonflikt getrieben, aus dem es rechtlich keinen Ausweg gibt. Denn weder sind deutscher Bundestag, Bundesregierung oder auch die Bundesbank befugt, die Auslegung des GG durch das BVerfG offen zu missachten, noch können EuGH oder EZB den „Anweisungen“ aus Karlsruhe Folge leisten. Dies würde nicht nur – wie es der Vorsitzende Richter am BGH Meier-Beck formulierte – das Ende der EU als rechtlich verfasste Gemeinschaft europäischer Demokratien bedeuten, sondern auch aus politischer Sicht den aufgrund vergangener Erfahrungen gemachten Eindruck einer Vorzugsbehandlung deutscher Institutionen auf EU-Ebene à la „am deutschen Wesen soll Europa genesen“ in anderen Mitgliedstaaten verstärken, so zu neuerlichen Absatzbewegungen ähnlich dem Brexit führen und zudem rechtsstaatsfeindliche Tendenzen in der Gerichtsbarkeit anderer Mitgliedstaaten bestärken, dem EuGH in welchem Rechtsgebiet auch immer die Gefolgschaft unter Berufung auf nationalstaatliche Verfassungsgrundsätze zu verweigern. Es bleibt folglich auch für das Internationales Gesellschaftsrecht nur zu hoffen, dass der Konflikt im Wege der Kooperation unter Gesichtswahrung für alle Beteiligten beigelegt werden kann. Dies in erster Linie durch eine Rücknahme seiner Rechtsprechung durch das Verfassungsgericht in einer künftigen Verfassungsbeschwerde, als auch seitens der EZB durch eine stärkere Offenlegung der Begründung ihrer Geldpolitik, selbstredend ohne Einschränkung ihrer Unabhängigkeit. Denn letztendlich kann man sich dem Eindruck nicht erwehren, dass es dem BVerfG hauptsächlich darauf ankam, einer expansiven Geldpolitik den Riegel vorzuschieben, nicht jedoch, das Unionsrecht abzuschaffen oder den EuGH zu desavourieren.