Der II. Zivilsenat des BGH hat in einem bemerkenswerten Beschluss vom 05.10.2021 zum einen die bisher strittige Frage bejaht, ob der notariellen Beurkundungspflicht unterliegende Gesellschafterbeschlüsse zu Maßnahmen nach dem deutschen UmwG auch im Wege einer virtuellen Gesellschafterversammlung erfolgen kann. Der Anlassfall behandelte die Konstellation einer Genossenschaft und betraf teilweise auch die Auslegung von im Zuge der Covid-Pandemie erlassener Sonderbestimmungen, welche mit Ende diesen Jahres eigentlich außer Kraft getreten wären, deren Geltung nun jedoch erneut bis zum 31. August 2022 verlängert wurde. Nichtsdestotrotz lassen sich dem Beschluss unseres Erachtens weitreichende Aussagen für sämtliche Gesellschaftsformen sowie auch für die Zeit nach Auslaufen der pandemiebedingten Sondergesetzgebung entnehmen.
Denn die tragenden Gründe des Beschlusses beruhen maßgeblich auf einer Auslegung des rechtsformunabhängigen Versammlungsbegriff des § 13 UmwG, woraus im Umkehrschluss folgt, dass letztlich weder den befristeten Sondervorschriften noch etwaige rechtsformbedingten Besonderheiten des Genossenschaftsrechts rechtlich ausschlaggebende Bedeutung zukam. Vielmehr legt er die Norm dahingehend aus, dass der Begriff der Versammlung keine zwingende physische Präsenzversammlung voraussetze, sondern offen für neue Technologien sei, und ihre Funktion in der Ermöglichung der Diskussion und Einflussnahme auf die Beschlussfassung liege, welche ebenso durch elektronischen Teilnahme in Echtzeit sichergestellt werden könne. Auch der Beurkundungszwang stehe nicht entgegen, wenn der Notar sich mit dem Versammlungsleiter am selben Ort befände und die Äußerungen der virtuell teilnehmenden Gesellschafter wahrnehmen und feststellen könne. Anders als für die ab dem 1.8.2022 mögliche Online-Gründung von GmbHs ermöglicht diese Variante zwar nach wie vor keine vollständige Onlinebeurkundung sämtlicher Gesellschafterbeschlüsse. Das Erfordernis „nur“ der physischen Teilnahme zumindest des Notars sowie eines Versammlungsleiters kommt dem jedoch bereits sehr nahe und vermeidet den bislang erforderlichen Weg über Vollmachtserteilungen.
Unseren Erachtens tendiert der BGH sogar dazu, einen allgemeinen Grundtypus eines Versammlungsbegriffs für das gesamte deutschen Gesellschaftsrechts zu statuieren, der Onlineversammlungen den Präsenzversammlungen gleichstellt. Zwar stellt er durch den Vorbehalt, dass dieser nur dann gelte, wenn das Gesetz oder die Satzung keine abweichenden Regelungen enthalten klar, dass durchaus rechtsformspezifische Unterschiede bestehen. So lässt die Sonderregelung in § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG für die AG keinen Zweifel daran, dass es eines ausdrücklichen Opt-Ins in solche reinen Online oder auch gemischten Versammlungsformate bedarf. Für die GmbH dürfte er sich hingegen durch die Klarstellung, dass virtuelle Gesellschafterversammlungen nicht etwa schriftlichen Beschlussfassungen gleichzustellen seien, sondern echte Präsenzversammlungen darstellen, entgegen der bislang hM der Auffassung angeschlossen haben, die solche Beschlüsse unter § 48 Abs. 1 GmbHG subsumiert und somit auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage ermöglicht. In der Praxis soll man dies jedoch nach wie vor vorsorglich durch ausdrückliche Satzungsgestaltung sicherstellen. Unabhängig davon sollte der Gesetzgeber nicht nur bei der GmbH für Klarstellung sorgen, sondern auch generell über die GmbH-Gründung hinaus für sämtliche Beurkundungen reine Onlineformate zulassen. Denn andere Staaten der EU wie beispielsweise Österreich oder demnächst auch Spanien haben die DIGRL zum Anlass genommen, eben dies zu ermöglichen. Dies führt dazu, dass deutsche Kapitalgesellschaften ohne Not in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurückfallen oder gar in den Weg der Auslandsbeurkundung getrieben werden. Auch für das deutsche Notariat macht es wirtschaftlich keinen Sinn, die teure Infrastruktur der Onlinebeurkundung nur für Gründungen nutzen zu dürfen, dieses wertvolle tool für sonstige Beurkundungen jedoch als totes Kapital brachliegen zu lassen.